Erste Schritte im Weltenbau

„Das Schwierigste ist, anzufangen.“
– Benedikt
Einleitung
Eine eigene Welt erschaffen – dieser Gedanke ist ebenso faszinierend wie einschüchternd. Als ich als Schüler zum ersten Mal von dieser Idee gepackt wurde, fühlte ich mich von den unendlichen Möglichkeiten so überwältigt, dass ich das Projekt „Weltenbau“ aus reiner Angst, etwas falsch zu machen, wieder beiseitelegte. Es hat ein ganzes Jahr gedauert, bis ich mich erneut herangewagt habe.
Vielleicht kennst du dieses Gefühl. Das Internet ist voll von Ratschlägen, die einen schnell erschlagen können:
- „Du musst zuerst ein zentrales Thema finden!“
- „Welches Zeitalter wählst du? Und wehe, es ist das europäische Mittelalter!“
- „OHNE KARTE GEHT GAR NICHTS!“
Auch wenn all diese Punkte ihre Berechtigung haben, ist der wichtigste Ratschlag für den Weltenbau ein viel einfacherer: Fang einfach an.
- Du hast bereits Ideen? Schreib sie auf. Jetzt sofort.
- Du hast eine grobe Vorstellung? Skizziere sie oder notiere sie so, dass du sie nicht vergisst.
- Du hast noch gar keine Idee? Perfekt, dann bist du hier genau richtig.
Egal, wie dein erster Schritt aussieht: Im Weltenbau gibt es kein „Falsch“. Jede Idee ist ein wertvoller Baustein und jeder Ansatz ist gut, solange er für dich und den Zweck deiner Welt funktioniert. Dieser Artikel ist keine starre Anleitung, sondern ein Kompass, der dir eine Richtung weisen kann, wenn du dich verloren fühlst.
Das Fundament: 4 goldene Regeln für den Start
Bevor wir uns in die Details stürzen, lass uns vier grundlegende Prinzipien für den Weltenbau festhalten. Sie sind wie die Naturgesetze deines kreativen Prozesses.

- Jede Ausnahme braucht eine Begründung. Regeln sind da, um gebrochen zu werden – aber nicht leichtfertig. Wenn deine Welt vertrauten Normen folgt (z. B. Wälder sind grün, Wasser ist nass), musst du nichts erklären. Wenn du aber pinke Sonnenblumen in einer Kellerstadt unter Berlin beschreibst, die blaue Ballons aufpusten, dann erwarten deine Leser eine verdammt gute Erklärung. Notiere dir jede Abweichung von der Norm und ihre Begründung. Das macht deine Welt glaubwürdig.
- Definiere den Zweck deiner Welt. Warum erschaffst du diese Welt? Dient sie als Kulisse für einen Roman, ein Rollenspiel oder existiert sie nur für dich? Wenn du eine Geschichte über einen Bauernjungen schreibst, der eine Flutkatastrophe überlebt, ist eine detaillierte Ausarbeitung der Heerstrukturen aller Königreiche wahrscheinlich überflüssig. Konzentriere beim Weltenbau deine Energie auf die Aspekte, die für dein Ziel relevant sind. Das erspart dir unnötige Arbeit und verleiht deiner Welt zielgerichtete Tiefe.
- Beginne mit dem Greifbaren, nicht mit dem Abstrakten. Dies ist eine dringende Empfehlung. Es ist verlockend, sofort ein komplexes Magiesystem zu entwerfen oder die 19. fiktive Sprache zu entwickeln. Doch solche abstrakten Konzepte können schnell frustrieren. Eine grob skizzierte Stadt oder eine einfache Landschaft hingegen ist schnell erstellt, motiviert ungemein und kann später jederzeit mit Details gefüllt werden. Sichtbare, konkrete Dinge halten die kreative Energie am Fließen.
- Dokumentiere jede Besonderheit. Besonderheiten sind das, was deine Welt einzigartig macht. Sie sind aber auch potenzielle Stolpersteine für dein Publikum. Alles, was von den Erwartungen eines durchschnittlichen Lesers abweicht, muss früher oder später erklärt werden. Erstelle eine Liste dieser Unterschiede. So behältst du den Überblick darüber, was deine Welt auszeichnet und was du erklären musst – damit niemand am Ende ratlos vor einem roten Himmel mit hüpfenden grünen Pentagrammen sitzt.
Wenn du mit dem Weltenbau beginnst, kannst du dich natürlich sofort in die Arbeit stürzen. Wenn du dich allerdings strukturierter daran setzen möchtest, gibt es zwei bewährte Konzepte, die ich dir kurz vorstellen möchte. Welches davon du wählst, hängt von dir, deiner Persönlichkeit und deinen Zielen ab:
- Top-Down (Der Architekt): Man beginnt im Weltenbau mit dem Großen und Ganzen – Götter, Kosmologie, Kontinente, Weltgeschichte – und arbeitet sich langsam zu den Details wie einzelnen Städten oder Personen vor. Als letztes entwickelt man Geschichten in der Welt.
- Bottom-Up (Der Entdecker): Man beginnt im Weltenbau mit einem kleinen, konkreten Detail – einem Charakter, einem Dorf, einem magischen Gegenstand – und baut die Welt organisch um diesen Punkt herum auf. Man entdeckt die Welt gemeinsam mit der Figur.
Der Kompass: Fünf Leitfragen für deinen Weltenbau

Nachdem wir die Regeln verinnerlicht haben, können wir mit dem eigentlichen Fundament beginnen. Die folgenden Fragen helfen dir, die Grundpfeiler deiner Welt zu definieren.
- High Fantasy oder Low Fantasy? Wo ist deine Welt angesiedelt? Ist sie eine alternative Version unserer Erde (z. B. eine fiktive Stadt in der Gegenwart, eine magische Parallelgesellschaft wie bei Harry Potter) oder eine komplett eigenständige Welt? Wie präsent ist das Fantastische? Gibt es Magie? Wenn ja, ist sie ein wissenschaftlich erklärbares System oder etwas Mystisches und Unerklärliches? Die Antworten hierauf bestimmen die grundlegende Atmosphäre deiner Welt. Ein Hexer, der auf einem Besen reitet und am Ende in ein Raumschiff steigt, erfordert eine sorgfältige Verknüpfung dieser Elemente.
- Welcher technologische Stand herrscht vor? Definiere die technologischen und gesellschaftlichen Errungenschaften. Der einfachste Weg ist, sich an einer historischen Epoche zu orientieren („europäisches Mittelalter“, „viktorianisches Zeitalter“). Du kannst natürlich auch völlig neue Konzepte entwickeln. Wichtig ist die innere Stimmigkeit: Ein Quantencomputer in einer Gesellschaft, die noch mit dem Pferd zur Arbeit reitet, ist nicht per se unmöglich, aber es braucht eine gute Erklärung, um logisch zu erscheinen.
- Wie groß ist der Maßstab deiner Welt? Besteht deine Welt nur aus einem verfluchten Haus? Einer Stadt? Einem Kontinent oder einer ganzen Galaxie? Es gibt keine Grenzen, aber sei dir bewusst: Je größer der Maßstab, desto geringer der Detailgrad. Stell dir vor, du müsstest jedes Detail deines Zimmers beschreiben – machbar. Nun versuch das Gleiche für deine gesamte Stadt. Eine kleinere, aber detailreiche Welt wirkt oft lebendiger und glaubwürdiger als ein riesiges Universum, das nur oberflächlich ausgestaltet ist.
- Wer (oder was) bevölkert deine Welt? Gerade in der Fantasy ist die Antwort selten nur „Menschen“. Gibt es Elfen, Zwerge, Orks oder völlig neue Spezies? Wie leben diese Völker zusammen – oder getrennt? Haben sie unerwartete Eigenschaften (z. B. wenn alle Elfen Kannibalen sind, ist das eine essenzielle Information!)? Kläre diese grundlegenden Fragen zu Kulturen und Völkern, bevor du dich in die Gestaltung von Königreichen und Allianzen stürzt.
- Welche Strukturen und Bündnisse gibt es? Jetzt wird es konkret. Beginne damit, Nationen, Städte, Handelsrouten und politische Beziehungen zu entwerfen. Überprüfe dabei stets, ob deine neuen Ideen zu den bisherigen Antworten passen. Eine Zwergenstadt mitten im Elfenreich? Das schreit nach einer Erklärung, wenn du zuvor festgelegt hast, dass sich beide Völker hassen. Vielleicht sind es abtrünnige Zwerge oder die Stadt wird seit Jahrhunderten belagert. Diese Begründungen musst du nicht immer explizit in deiner Geschichte erwähnen, aber du als Schöpfer solltest sie kennen. Sie verleihen deiner Welt eine natürliche und logische Tiefe.
Deine Tools

Ob du deine Ideen in einem edlen Ledernotizbuch festhältst, eine simple Textdatei nutzt, Mind-Mapping-Software wie XMind verwendest oder auf spezialisierte Programme wie World Anvil oder Campfire setzt, ist am Ende egal. Das beste Werkzeug für den Weltenbau ist das, das du tatsächlich benutzt. Um dir den Einstieg zu erleichtern, teile ich hier die Werkzeuge, die sich in meinem eigenen Prozess bewährt haben:
- Das Notizbuch. Der Klassiker. Und ich habe immer eines in meiner Tasche. Ganz altmodisch mit einem Stift. Hier schreibe ich kleine Ideen, Details oder kurze Absätze über Besonderheiten in meiner Welt auf.
- OneNote. Das digitale Äquivalent des Notizbuchs. Der Vorteil, du kannst deine Welt perfekt strukturieren. Lege dir Abschnitte für Städte, Völker, Personen, Zauber, Gegenstände, Details, Ereignisse etc. an. Du kannst die Artikel sogar labeln und so mit nur einem Klick zusammenhängende Elemente deiner Welt finden.
- Papyrus Autor. Im Planungstoll von Papyrus Autor kannst du Mindmaps anlegen, Plotstrukturen entwerfen und sogar Datenbanken zu deinen Orten, Personen und Gegenständen aufbauen. Der Vorteil ist, bestehende Elemente werden beim Schreiben eines Romans direkt gehighlighted. Der Nachteil ist aber eindeutig der Preis. Alternativ kannst du zB auf XMind zurückgreifen.
- Microsoft Word. Eine einfaches Textdokument ist oft am praktischsten, wenn man ausführliche Zusammenhänge erläutern, kleine Geschichten schreiben, eine Chronik aufsetzen, Gedichte sammeln oder einen Figurenabriss schreiben will.
- GIMP. GIMP ist ein open source Bildbearbeitungsprogramm. Hier erstelle ich meine Karten, Symbole, Logos etc..
Fazit
Du siehst, Weltenbau ist ein Berg voll Arbeit, und wir haben gerade erst an der Oberfläche gekratzt. Aber wenn du die Grundregeln beachtest und nicht aufgibst, wirst du sehen, wie deine Welt wächst. Und je mehr sie wächst, desto mehr Freude wird sie dir bereiten.
Genug gelesen – jetzt bist du dran! Nimm dir jetzt 15 Minuten Zeit, schnapp dir ein Notizbuch oder öffne ein leeres Dokument und beantworte nur eine einzige der fünf Leitfragen für deine Welt. Nicht perfekt, nicht vollständig – einfach nur ein paar erste Gedanken. Der erste Schritt ist gemacht. Willkommen im Weltenbau!
PS: Begründungen nicht vergessen! 😉
Was folgt?
In diesem Artikel haben wir den Grundstein für deine Welt gelegt. In zukünftigen Beiträgen werden wir uns einzelne Themen genauer ansehen, wie zum Beispiel:
- Städte im Weltenbau: Von der Gestaltung einer Stadtkarte bis zum komplexen Handelssystem
- Länder erschaffen: Von Grenzen, Städten, Wegen und Rechtssystemen
- Magiesysteme bauen: Von harten Regeln bis zu weicher Mystik
- Kartografie für Anfänger: Wie du glaubwürdige Karten zeichnest (auch ohne künstlerisches Talent)
- Kulturen und Völker: Mehr als nur Elfen und Zwerge
- Götter und Religionen: Ein Pantheon für deine Welt entwerfen


